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Ist die Längenkontraktion real oder scheinbar?

Die Längenkontraktion der speziellen Relativitätstheorie hat messbare Konsequenzen und ist damit ein realer physikalischer Effekt.

Koordinatentransformation

Dem oder der Studierenden begegnet die Längenkontraktion meist zuerst in der Gestalt eines reinen Messeffektes: Ein Objekt, das in seinem Ruhesystem eine bestimmte Länge hat, hat in einem hierzu bewegten Inertialsystem eine um den relativistischen Faktor (Gamma-Faktor) verkürzte Länge. Diese Feststellung der Längenkontraktion, die man durch einfaches berechnen der Lorentztransformation erhält, ist mit keiner körperlichen Veränderung des Objektes verbunden. Sie ist vielmehr eine Folge der anderen Orts- und Zeitmaßstäbe im bewegten Inertialsystem.

Nun besteht die Relativitätstheorie aber nicht nur aus Koordinatentransformationen. Mathematische Transformationen in Koordinatensysteme, in denen Objekte beliebig gestaucht oder gestreckt erscheinen, sind auch in der klassischen Physik schon möglich. Die wesentliche Aussage der speziellen Relativitätstheorie ist, dass die physikalischen Gesetze in allen Inertialsystemen gleich sind. Das hat Konsequenzen, die über die reine Betrachtung von Bewegungen in Koordinatensystemen hinausgehen.

Chemische Bindungen und Relativitätsprinzip

Mit chemischen Bindungsgesetzen versteht man heute recht gut, warum ein bestimmter Festkörper, zum Beispiel ein Salzkristall, eine bestimmte Länge annimmt. Die Atomabstände in solch einem Kristall sind durch Bindungskräfte festgelegt.

Das Relativitätsprinzip der speziellen Relativitätstheorie bezieht sich auf alle Naturvorgänge, also auch auf die Bindungskräfte in Kristallen und anderen gebundenen Objekten. Wenn zwei Atome innerhalb eines Kristalls in einem Inertialsystem ihre Ruheposition zueinander eingenommen haben, dann sind sie aus allen Inertialsystemen betrachtet zueinander in Ruhe. In Inertialsystemen, in denen diese beiden Atome bewegt sind, ist ihr Abstand um den Gamma-Faktor verkürzt. Damit folgt aus der Längenkontraktion, dass die zwischenatomaren Kräfte so gestaltet sein müssen, dass die Gleichgewichtslage zweier in einem Inertialsystem konstant bewegter Atome um den Gamma-Faktor kürzer sein muss, als für zwei identsche Atome eines nicht in diesem System bewegten Objektes.

Beschleunigungen

Während sich bei der mathematischen Koordinatentransformation nichts weiter als die Zuordnung von Raum- und Zeitkoordinaten ändert, hat die Längenkontraktion ganz direkte, körperliche Auswirkungen, wenn man die Beschleunigung eines Objektes in einem vorgegebenen Inertialsystem betrachtet. Für solch ein beschleunigtes Objekt ändern sich die zwischenatomaren Kräfte so, dass das Objekt geneigt ist sich zu verkürzen. Damit ein Objekt nach der Beschleunigung noch im atomaren Gleichgewicht ist, muss es während des Beschleunigungsvorgangs schrumpfen. Die hinteren Atome müssen stärker beschleunigen als die vorderen.

Diese Verkürzung während der Beschleunigung ist ein rein geometrischer Effekt der Relativitätstheorie. Die Verkürzung hängt nur von der Geschwindigkeitsänderung im verwendeten Koordinatensystem und nicht von irgendwelchen Materialeigenschaften ab. Ein beschleunigter Körper schrumpft um den relativistischen Faktor γ.

Längenkontraktion als Scheinkraft

Während die resultierende Länge eines Objektes nach der Beschleunigung von Materialeigenschaften unabhängig ist, kann der Anpassungsprozess selbst durchaus materialabhängige Konsequenzen haben.

Bereits in der Newtonschen Mechanik gibt es Verspannungen bei einem Beschleunigungsprozess. Wird ein Objekt von hinten angeschoben, so werden die Atomabstände ein wenig zusammengedrückt. Dadurch üben die hinteren Atome einen Druck auf die vorderen aus. Wird das Objekt von vorne gezogen, so werden die Atomabstände etwas verlängert und die elektrische Anziehung zwischen den Atomen sorgt dafür, dass die hinteren Atome auch beschleunigen. Wenn die Kräfte dabei zu stark sind, kann ein Material auch reißen. Die Trägheit der hinteren Atome kann so stark an der Atombindung ziehen, dass die Bindung nicht aufrechterhalten wird.

In der Relativitätstheorie kommt durch die Längenkontraktion ein weiterer Effekt hinzu: Der Sollabstand der Atome schrumpft mit zunehmender Geschwindigkeit. Dadurch wird der Druck beim Anschieben von hinten etwas schwächer und der Zug beim Schleppen etwas größer.

Betrachtet man das Objekt in einem mitbewegten Koordinatensystem, so kann der zusätzliche Zug bei Beschleunigen als eine Scheinkraft aufgefasst werden. Diese Kraft neigt dazu, den Körper auseinanderzuziehen. Sie ist ähnlich zur Zentrifugalkraft in einer Kreisbewegung die Folge von beschleunigten Koordinaten.

Materielle Konsequenzen

Erfolgt die Beschleunigung so schnell, dass die atomaren Bindungskräfte der Verkürzung nicht folgen können oder wird das Objekt duch äußere Kräfte am Schrumpfen gehindert, so kann die Längenkontraktion durchaus zu materiellen Konsequenzen führen. Das Material muss es sich entweder verformen, indem Atome in die freiwerdenden Lücken hineinfließen, oder es wird brechen. Die spezielle Relativitätstheorie bewirkt bei Beschleunigungen zusätzliche Trägheitskräfte. In aller Regel dürften aber die klassischen Materialbelastungen überwiegen und man bemerkt bei alltäglichen Geschwindigkeiten nichts von der Materialverformung.

Erheblich sind Materialverformungen durch die Relativitätstheorie nur bei sehr schnellen Objekten. In Speicherringen, wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN, werden Atomkerne auf Geschwindigkeiten beschleunigt, die der Lichtgeschwindigkeit nahekommen. Diese Kerne sind so stark gebunden, dass sie die großen Beschleunigungskräfte problemlos vertragen. Hier spielt die materielle Längenkontraktion eine große Rolle.

Fazit

Zusammenfassend kann man sagen, dass man bei der Längenkontraktion drei Fälle unterscheiden muss:

  1. Die Längenkontraktion bei Koordinatenwechsel nach der Lorentztransformation ist kein materieller Effekt, sondern ein reiner Messeffekt.
  2. Während der Beschleunigung muss sich ein einzelnes Objekt, wenn man es in einem unveränderten Inertialsystem betrachtet, verkürzen. Das ist ein materieller Vorgang. Der genaue Ablauf ist materialabhängig, das Resultat ist eine materialunabhängige Verkürzung um den relativistischen Faktor.
  3. Betrachtet man ein mit dem Objekt mitbewegtes Koordinatensystem, so macht sich die Längenkontraktion als Scheinkraft, vergleichbar zur Zentrifugalkraft, bemerkbar. Die zwischenatomaren Kräfte müssen dem Zerreißen der Körpers durch die Scheinkraft entgegenwirken.

Letzte Änderung: 04.03.2011

© Joachim Schulz